Gloria Brand



Katalog: Zwischen Malerei und Objekt (Hanau/Speyer)


Herbert Dellwing:
Gloria Brand

Gloria Brand arbeitet seit mehr als 30 Jahren ausschließlich mit collagiertem Papier. Nach dem Studium ist sie als Ausstattungsassistentin an den Städtischen Bühnen in Frankfurt/M. tätig, wo ihr Interesse für das Bild als lebendiges Szenarium geweckt wird. Ihr Werk ist in der Kunst der 1960er Jahre verankert, die das Bild neu formuliert. Die Künstlerin erweitert schon früh den optischen Erlebnishorizont des Bildes ins Räumliche; die Thematisierung des Raumes rückt immer deutlicher in den Mittelpunkt ihres Schaffens.

Das von Gloria Brand mit dichten informellen Strukturen gestaltete Papier verarbeitet sie zu bewegten Bildräumen, die mit ihren Rhythmen auf Kommunikation angelegt sind. Die im Bild gesammelten Energien ergreifen vom Raum Besitz. Auch zum Betrachter hin treten die Papierformen bisweilen ganz entschieden aus der Bildfläche heraus und schaffen so ein haptisches Bildobjekt. Die Raumschichten durchdringen sich und ergeben eine irrationale Räumlichkeit: Das Werk stellt sich dar als ein offenes Geflecht, in dem eine Vielzahl räumlicher Bezüge vorhanden ist, in dem flächige Verdichtungen mit linearer Lockerheit oder drängender Bewegung wechseln.

In der komplexen Unbestimmtheit liegt die Magie dieser Kunstwerke, die in ihren Formen ein ständig wechselndes Raumerlebnis offerieren. Die raumplastischen Massen veranlassen den Betrachter das Werk unter stets neuen Aspekten zu sehen und so stets neu zu konkretisieren, so als ob es in ständiger Verwandlung begriffen wäre. Nicht nur die Papiere, die gesamte Bild- bzw. Objektstruktur ist informell, d.h. noch nicht zur Form geworden, und damit potenzieller Entwurf, der spielerische Leichtigkeit und schwerelose Paradiese ebenso einschließt wie Verwerfungen, Brüche und Abgründe. Dabei unterwirft Gloria Brand ihr informelles Arbeitsmaterial von Anfang an einer strengen bildnerischen Kontrolle durch ordnende Elemente.

Ihre Werke sind geprägt von der Dialektik zwischen dem informellen Chaos und der Disziplinierung von Zeichen und Formen - ein Spannungsfaktor, der alle ihre Bildobjekte kennzeichnet. Die architektonische Komponente erinnert und verweist auf Dinge der Realität, aber nicht der Dinge wegen; es geht der Künstlerin nicht um den konkreten Gegenstand, vielmehr um die Schaffung von Situationen und Kraftfeldern als Ausdruck ihrer komplexen Erfahrungen.

In den einzelnen Werkgruppen untersucht sie anhand von spezifischen Motiven die Wirkung von Gegenstandsformen in unterschiedlicher Größe und Ausprägung. Den mehrteiligen frei stehenden Paravent löst sie aus seinem Funktionsverband und benutzt ihn als Modell für Kunst. Das Durchbrechen der Flächen, die dynamische Durchdringung der Einzelteile und die Variabilität der Aufstellung eröffnen neue Perspektiven zur Interpretation des Raumes. Gerade bei den Arbeiten an diesem Motiv wird die Offenheit und Weite im bildnerischen Denken von Gloria Brand vor Augen geführt. In ihren Stapelbildern und Stapelobjekten greift die Künstlerin (wie auch in anderen Fällen) auf ältere eigene Arbeiten zurück. Zeilenartig geordnete Collagen erhalten später Tiefe und Volumen. Das Bildobjekt erfährt jetzt gegenüber der Wand dingliche Eigenständigkeit. Besonders die großformatigen frei stehenden Stapel sind in ihrer Blockhaftigkeit Ordnungsund Orientierungsgrößen bei der Inszenierung und Erfahrung von Raum.

In der neueren, experimentellen Serie der weißen Faltungen tritt die Farbe zugunsten der durch Licht und Schatten in unterschiedlichen Valeurs bewirkten Raumhaltigkeit in den Hintergrund. (Gloria Brand verarbeitet dabei weiß übermaltes gefärbtes Papier, das durch die Übermalung hindurchscheint und den Arbeiten eine atmende Oberfläche gibt.) Die weißen Faltungen erscheinen gegenüber älteren Arbeiten einfacher und legen den formalen Zusammenhang bloß, der kompliziert genug ist. Er ist auch hier von einer bildmäßigen Tektonik bestimmt. Die Künstlerin verzichtet bei diesen Arbeiten auf gerissenes Papier und verwendet ausschließlich linear begrenztes, geschnittenes Papier.

In ihrer jüngsten Serie "Transparente Quadrate" mischt die Künstlerin wieder geschnittene und gerissene Papiere und verarbeitet auch wieder Farben, die sie aber durch transparente Papiere zum größten Teil überdeckt und verschleiert. Ähnlich wie ein Milchglas verändern die transparenten Papiere die dahinter befindlichen Farben wie auch die räumliche Struktur. Die harten Kontraste verschwinden, die Konturen werden aufgeweicht, die Farben gehen fließend ineinander über. In Teilen bleiben aber Zwischenräume, die den Durchblick, den direkten Blick auf die Farbcollagen ermöglichen. Das Nebeneinander von offenen und verschleierten Segmenten gibt den Bildobjekten eine zusätzliche Magie, die die Neugier des Betrachters und die Auseinandersetzung mit dem Werk herausfordert.

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