Gloria Brand



Katalog Kunsttage Dreieich 2003


Rainer Lawicki:
GLORIA BRAND. SCHICHT AUF SCHICHT

Die Collagen von Gloria Brand bilden wie die vegetabile und urbane Umwelt eine ausgreifende Raumwelt - streng genommen jedoch suggerieren sie, was sie nicht sind. Denn nur so weit sind die raumbezogenen Ebenenbilder von Gloria Brand Collagen, als sie als Klebebilder in Erscheinung treten. Was sie jedoch nicht transportieren, ist die Verfremdung des vorgefundenen und genutzten Materials durch eine sinnverändernde Kombination. Die Künstlerin verwendet selbst hergestellte - entweder bemalte oder bezeichnete Papiere sowie drucktechnisch reproduzierte Vorlagen - als Ausgangspunkt für ihre Bilderschichtungen und begibt sich dabei auf einen Weg, der dem des Malers gar nicht unähnlich ist. Was dem Maler die Zusammenstellung der Farben auf der Palette für den Stimmungsgehalt des Gemäldes bedeutet, geben die selbst gefertigten Papiere Gloria Brand buchstäblich in die Hand. So wie der Maler sein Bild vom Hintergrund zum Vordergrund sukzessive aufbauen kann, schichtet Gloria Brand eine Raumstaffelung von Papierebenen, die den Betrachter regelrecht anspringen. Und diese unmittelbare Präsenz des Materials unterscheidet ihre Tableaus von der Malerei, operiert diese auch noch so augenscheinlich mit der Reliefwirkung. Denn was das Relief der Farbmaterie nicht vermag, ist, den Zwischenraum in der Schwebe zu halten und die Raumstaffelung ganz leicht zu machen.
Die Technik der Collage ist von der Entwicklung der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts gar nicht wegzudenken. Als Georges Braque und ihm nachfolgend Pablo Picasso anfingen, holzimitierende Tapeten und Zeitungsausschnitte in ihre Zeichnungen zu kleben - der Begriff papier-collé umschreibt nichts anderes als den Herstellungsprozess: das geklebte Papier -, lösten sie die Homogenität des Tafelbildes auf und griffen den Illusionismus einer auf die Perspektive gegründeten Bildführung nachhaltig an. Das Bild selber als Gegenstand und mit diesem das Bild als Objekt, als etwas was nicht wie ein Fensterausblick auf eine Außenwelt hinweist, sondern auf das Gemachtsein des Bildes rekurriert, führte dahin, das Bild von der Wand in den Betrachterraum zu stellen. War die Farbe im Verbund mit der Zeichnung zuvor ein Mittel der räumlichen Illusion, so wurde sie zunehmend zu einem Gestaltungsmaterial, das die Fläche des Bildes, besonders seine Oberfläche hervorhob. Die eingeklebten Materialien halfen dem Kubismus die Realität des Bildes in Frage zu stellen, das Verhältnis zwischen Raum und Gegenstand auf der Bildfläche in ein Oszillieren von Vorne und Hinten zu verwandeln. Die Freiheit, eine Darstellung durch seinen realen Stellvertreter zu ersetzen, öffnete das Tor zu der Montage und damit den Weg zur raumgreifenden Kunst des Objektes und des Materialreliefs bis hin zur Installation und Performance.

RAUMCOLLAGEN

Mit Collage-Relief, Collage-Objekt oder Collage-Assemblage hat Gloria Brand ihre Raumschichtungen begrifflich und technisch benannt und bezieht sich damit auf die medialen Eckpfeiler der Moderne, worauf letztendlich die Gegenwartskunst basiert. Niemals aber hat die Künstlerin tatsächlich das Fremde in ihre Bilder integriert, das Gegebene verfremdet, sondern ihre innere Bildwelt, die als unbewusste Reaktion auf die Wahrnehmung der Umgebung entsteht, bildnerisch umgesetzt. Ungegenständlicher als mit der Gegenständlichkeit des Papiermaterials hätte dies nicht stattfinden können. Die Komposition und Konstruktion der Bildcollagen schweben Gloria Brand vor dem geistigen Auge, die sie mit Hilfe der Übereinanderlagerung von Bildschichten realisiert, ohne im Nachhinein mit dem Pinsel oder Stift die Papierkombinationen zu überarbeiten. Jede dieser Bildschichten ist in sich bis zu einem Endpunkt durchgestaltet, das Übereinander und Durchdringen der Bildelemente verkompliziert das Bezugsgeflecht der einzelnen Ebenen und lädt diese mit einer potenziellen Energie auf, welche die ästhetische Kraft der Bildcollagen von Gloria Brand ausmacht. Es sind Kreis, Quadrat oder Rechteck - häufig ist es auch das Bild im Bild -, die dem Betrachter als kompositionelle Haltepunkte helfen, in der Fülle der Form- und Farbeindrücke seinen Standpunkt lokalisieren zu können. Nahezu barock schwellen die Papierschnipsel und Papierbahnen im Bildgeflecht an, die durch Rasterlinien und korrespondierende Farbkonstellationen eine Vereinheitlichung finden. Vergleichbar mit Paul Cézanne, der, das Motiv vor Augen, einzelne Flecken an den unterschiedlichsten Orten auf der Leinwand verteilte und mit dem letzten Farbfleck das Bild synthetisierte, findet Gloria Brand das harmonische All-over ihrer ungegenständlichen Raumvision.
Die als plastischer Körper verstandenen Bildstapel, sowie die Bildstapelreliefs sind Sinnbild des unermesslichen Bildfundus, aus dem Gloria Brand schöpfen kann, indem sie im prozessualen Akt der Gestaltung stets das Neue aus der Energie des Über-und Ineinander hervorholt. Die Raumschichtungen von Gloria Brand haben nichts mit der zersetzenden Decollage des Nouveau Réalisme gemeinsam, die stets von der vorderen Fläche auf das Dahinter geht, sondern haben mit der Modellierung eines emotional-tektonischen Raumes zu tun, der aus der Spontaneität und Vitalität des zeitlichen Hervorholens lebt. Auf diese Weise erschafft Gloria Brand einen lebendigen, gleichsam sozialen Organismus, dessen Bildschichtung sich von einem primären Konzept aus ganz natürlich entwickelt.

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