Karin RadoyKarin Radoy







Altäre der Farbe


In ihren Objekten und Papierarbeiten bringt die Offenbacher Malerin Karin Radoy Farben und Formen zum Klingen

Bereits ein erster kurzer Blick auf Objekte von Karin Radoy entführt den Betrachter in seinen Assoziationen zu den Gefilden des Glaubens, und das heißt in den Traditionszusammenhängen, die uns geläufig sind, zu den Grenzgebieten zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem. Die zumeist zweiteiligen Objekte der 1957 im hessischen Offenbach geborenen Künstlerin erinnern gerade in ihrer Plastizität an die Form des zweiteiligen Altars, an das Diptychon. Die skulpturalen Bildträger der Künstlerin sind Hohlkörper, die sie aus Sperrholz oder MDF (mitteldichte Faserplatte) zusammensetzt. Von Beginn an ist diesen Arbeiten daher die Analogie zu den Klangkörpern von Streichinstrumenten inhärent. Auf die Schauseite dieser Hohlkörper trägt die Malerin nach einer Grundierung die Farbe in mehreren Schichten auf. Sie bedient sich dabei des Spachtels, der es ihr erlaubt, die Dichte und Dicke des Farbauftrags, ohne dass dieser seinen flächigen Charakter verliert, ihren künstlerischen Intentionen gemäß zu kontrollieren.

Die Malerin als Komponistin
Gegenüber dem Pinsel gehört es zu den eigentümlichen Werkzeugeigenschaften des Spachtels, dass er an seinen Rändern Grate entstehen lässt, die den in sich monochromen Farbflächen Karin Radoys den jeweils individuellen Rhythmus verleihen. Durch die Grate und die unterschiedlichen Lichtbrechungen, die sie in der Fläche verursachen, entstehen Binnenformen, aus denen sich die Geschichte, die Erzählung der Fläche als synästhetischer Farbklangteppich zusammensetzt. Das lateinische Tätigkeitswort "componere", dem wir das Lehnwort für den Erfinder musikalischer Gestalten, den Komponisten, entliehen haben, findet im künstlerischen Verfahren von Karin Radoy seine ganz buchstäblich Erfüllung: Sie perfektioniert eine Kunst des Zusammensetzens. In ihren säkularisierten Diptycha bringt sie zwei Formen, zwei Geschichten miteinander in Kontakt. Im Fall des Gelingens steigern sich die durch ein grenzbildendes Scharnier, das auch als Riss und Spalte wirkt, getrennten Form- und Farbgebilde zu einer neuen, in der Einbildungskraft des Betrachters angesiedelten Synthese. Weil sich die Assoziationen dabei nicht nur an die Farbe ihre Temperatur und ihren Klang, sondern auch an die verschiedensten anderen Gehalte, Empfindungen und Ahnungen heften, die durch das Werk ausgelöst werden, scheint die Rede von einer Transzendenz des Sinnlichen ins Übersinnliche an dieser Stelle gerechtfertigt.

Magierin der Zweifaltigkeit
Der Zahl Zwei bringt die Künstlerin eine obsessive Liebe entgegen, von der auch ihre Papierarbeiten geprägt sind. Innerhalb der christlichen Ikonographie, die als Hintergrund das Œuvre von Karin Radoy durchwirkt, bedeutet die Zwei als erste gerade Zahl die Teilung zur Unvollkommenheit. In der Hauptsache ist sie aber die Zahl der Polaritäten, so auch derjenigen zwischen Altem und Neuem Testament, der Gegensatzpaare und der symmetrischen Verdoppelung, etwa bei Körpergliedern. Ihrer Ausstellung gibt die Malerin den Titel Bon-Bon. Die symbolische Belastung der Zweizahl unterläuft sie durch deren ironische Brechung, indem sie sowohl die Assoziation an die Süßigkeit aufkommen lässt, als auch die Erinnerung an das Gotteswort über die Schöpfung, hier allerdings verfremdet durch den französischen Ausdruck und die bedeutungsvolle Verdoppelung. Der Titel verweist aber auf das Ziel von Radoys künstlerischen Bemühungen. Sie möchte Kontraste der Farben und Formen durchaus im Sinne Hegels aufheben zu einer neuen Synthese. Wenden wir die musikalische Begrifflichkeit noch einmal auf ihre Arbeiten an, so streben ihre kontrastierenden Farbklangkörpern zur Harmonie als dem Wirklichwerden eines geheimnisvollen Beziehungszaubers.


Rüdiger Heise / Applaus Kultur-Magazin, 6/2003

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